Industriemuseum Zeche Nachtigall in Witten
Es ist eines der interessantesten Industriemuseen im Ruhrgebiet und sicherlich das mit dem schönsten Namen. Die Zeche Nachtigall in Witten befindet sich an der Wiege des Bergbaus im Muttental, wo sich auf dem Bergbauwanderweg heute noch zahlreiche Stolleneingänge, Halden und andere Zeugnisse des Kohleabbaus entdecken lassen. Hier im Museum kann man in einen echten Bergbau-Stollen „einfahren“ und vieles über die Arbeit der Bergleute vor allem in der frühen Industrialisierung des Ruhrgebiets erfahren. Und weil das Gelände nach der Schließung der Zeche als Ziegelei genutzt wurde, lässt sich diese als zweites großes Thema an diesem Standort erkunden.
An manchen Tagen können Besuchende mit einer Feldbahn auf schmaler Spur vom Auto zum Eingang oder zur Nachbarzeche Theresia fahren und auch das dortige Gruben- und Feldbahnmuseum besuchen. Ein Spaziergang oder eine Wanderung durch die schöne Landschaft des Muttentals mit seinen Bergbau-Relikten und Denkmälern ist in Kombination mit dem Museumsbesuch ebenso möglich wie das Übersetzen mit dem Schiff auf die andere Seite der Ruhr: die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung sind hier äußerst vielfältig. Direkt am Rande des RuhrtalRadwegs und Von-Ruhr-zu-Ruhr-Radweg gelegen ist es außerdem ein willkommenes Etappenziel zwischen Witten und dem Kemnader See.
Vom frühen Bergbau zum Schacht-Bergbau
Bereits im 18. Jahrhundert wurde hier im Muttental bei Witten urkundlich vom handwerklichen Stollenbergbau berichtet. Entlang des Muttenbachs bauten zumeist Bauern schon viel früher in kleinen Löchern, den sogenannten Pingen, oberflächennah Kohle ab – jeweils, bis sich die Pinge durch steigendes Grundwasser verfüllte. Schließlich ging man an dieser Stelle zum Stollenbergbau über und grub senkrechte Schächte zwischen verschiedenen Sohlen in den Berg – die Zeche Nachtigall und zahlreiche Klein- und Kleinstzechen im Bereich des Muttentals sind entstanden.
Als einer der ersten im Ruhrgebiet befand sich hier seit 1839 der Schacht Hercules. 1892 wurde der Betrieb der Zeche Nachtigall nach einem größeren Wassereinbruch auch unter Betracht der Konkurrenz in den jungen Großzechen nördlich der Ruhr komplett eingestellt. Das Gelände wurde durch den Unternehmer Dünkelberg aufgekauft, der zentrale Schacht Hercules verfüllt und die Ziegelei Dünkelberg eingerichtet. Sie nutzte einen Stollen durch den Berg zum direkten Transport der Rohstoffe vom Steinbruch zum Ziegeleiofen, in diesem Fall eine Doppelringofenanlage mit dem weithin sichtbaren und markanten Schornstein. 1963 wurde auch die Ziegelei stillgelegt und das Gelände verfiel zunehmend, beherbergte es eine Zeit lang doch nur kleinere Fabrikationen oder Schrotthändler. Im Jahr 1970 hat die Stadt Witten einige Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. Seit 2003 ist das Museum als eines von acht Standorten des LWL geöffnet – und ist zusammen mit dem Muttental eines meiner Lieblingsorte im Ruhrgebiet.
LWL-Industriemuseum – über Tage
Das Museumsgelände zeigt Einblicke in die Arbeit in der frühen Zeche Nachtigall, in der später entstandenen Ziegelei, in die vielen für die Region Muttental typischen Kleinzechen und die Frachtschifffahrt auf der Ruhr. Kaum ein Museum bietet damit so völlig unterschiedliche Themen, wie sie hier aufgegriffen werden. Besuchende können das aufgrund der Größe recht übersichtliche, aber liebevoll gestaltete Gelände inspizieren und hier reichlich Zeit verbringen. Zum Beispiel, bis die Führung in den Stollen beginnt – dazu aber später mehr.
Dampfmaschine von 1887 im Maschinenhaus
Der Rundgang beginnt im Maschinenhaus, in dem sich auch die Kasse des Industriemuseums Zeche Nachtigall befindet. Eine Treppe führt hoch ins Obergeschoss, wo eine wunderschöne Dampfmaschine steht. Sie ist hervorragend restauriert, präsentiert sich glänzend und mit farbigen Ölern. Sie wurde 1887 gebaut und wurde an mehreren Standorten genutzt. Zunächst in einer Textilfabrik bzw. Baumwollspinnerei in Gronau, ab 1911 als Fördermaschine der Zeche Jacobi in Oberhausen und ab 1921 auf der Zeche Prosper Haniel in Bottrop. Im stolzen Alter von 100 Jahren wurde sie ins Industriemuseum Zeche Nachtigall umgesiedelt.
Hinter dem Maschinenhaus befindet sich das Freigelände mit der Ausstellung „Kohle eimerweise“. Hier ist ein Dreibaum aufgestellt, über den früher die Kohle in Kübeln aus dem Schacht gefördert und direkt auf Karren oder Wagen verladen wurde. Eine primitive Bude schützt die dazugehörige Haspelanlage, die sehr viel einfacher als die eben angeschaute Dampfmaschine aussieht. Umlagert ist die Anlage von verschiedenen kleinen Hütten mit Kaue und Lampenstube. Am südlichen Ende des Geländes liegt noch ein Steinbruch.
Ringofen der Ziegelei Dünkelberg
Größtes Gebäude des Geländes ist mit Abstand die Ziegelei mit den beiden Ringöfen unter einem über 3.500 m² großen Dach. Und natürlich dem markanten Schornstein, den man sogar aus dem Zugfenster ausmachen kann, wenn man durch den Wittener Hauptbahnhof fährt. In den hinteren Ofen kann man hineingehen und nachvollziehen, wie der Brennprozess von Ziegelsteinen abgelaufen ist und wie ausgeklügelt das Prinzip des Ofens ist. Unter dem großen Dachüberstand ist auch ein Rastplatz mit vielen Bänken und Tischen eingerichtet, an dem man sehr gut Picknick machen kann.
Am Ende der Ziegelei wartet noch eine kleine Ausstellung über die Kohleschifffahrt. Hier lässt sich eine Ruhraak ansehen, die hier übliche Form einer Aak, eines Fluss-Binnenschiffs. Es ist recht unbekannt, dass die Ruhr eine Zeit lang von der Mündung bis Herdecke und für kurze Zeit bis zum Salzhafen Langschede in Fröndenberg schiffbar war und für den Kohle- und Salztransport genutzt wurde.
Direkt dahinter liegt ein Wasserspielplatz, ein beliebtes Ziel für Kinder, die dort in Kanälen Wasser stauen und mit Schiffen spielen können.
Unter Tage im Nachtigallstollen
Pünktlich zum Führungsbeginn haben wir uns an der Lampenstube einzufinden, die in Sichtweite zum Dreibaum liegt. Hier wartet bereits der Gruppenleiter darauf, dass alle Teilnehmenden zusammenkommen. Schon beim Eingang zum Museum haben wir Marken bekommen, die wir nun abgeben müssen. Alle Besuchenden erhalten Schutzhelme, die unter Tage auch wirklich notwendig sind.
Der Besucherstollen ist die besondere Attraktion des Museums und begeistert Erwachsene wie Kinder. Er wurde in den 1980er Jahren von Bergleuten zwecks Rekonstruktion neu gesichert und wird auch heute noch zur Sicherheit der Besucher und des Personals regelmäßig durch das Bergamt überprüft.
Dann tauchen wir unter einem feurigen „Glück auf!“, dem obligatorischen Bergmannsgruß, ab in die Dunkelheit. Kleine Lampen erhellen die Dunkelheit im regelmäßigen Abstand.
Zunächst durchqueren wir den alten Nachtigallstollen, der von der Ziegelei genutzt wurde. Hier kann man noch relativ aufrecht laufen, aber schon bald hört man das typische Geräusch eines an einem Holz- oder Stahlbalken anschlagenden Helmes. Die Deckenhöhe wird zwischendurch niedriger. Und bald kommen wir am anderen Ende heraus. Hier haben wir, wieder bei Tageslicht, kurz einen Einblick auf die Geologie im Muttental. Hoch am Fels im alten Steinbruch sieht man die schwarze Schicht, das Flöz Geitling II, das in einem Winkel von etwa 22 Gon (19 Grad) nach Norden abfällt und das wir gleich noch sehen und anfassen.
Heilige Barbara und Scheißkübelmajor
Zurück im Tunnel erfahren wir Grundsätzliches zum Ausbau und zur Sicherheit in Bergwerken. Wir fassen einen deutschen und einen polnischen Türstock an und erfahren, warum sich welches Holz so gut für das Abstützen eignet. Wir betrachten in einer Nische die Figur der Heiligen Barbara, Schutzpatronin der Bergleute. Ohne diese Figur würden sich auch heute noch viele Tunnelbauer weigern, in den Berg einzufahren.
Etwas unbeachtet steht eine unscheinbare Tonne mit einem Stapel Zeitungspapier im Stollen, die sich als einfacher Abort unter Tage entpuppt. Eine einfache Erleichterung der Notdurft im Tunnelsystem war alleine schon aus hygienischen Gründen verboten. Ein besonderer Bergarbeiter hatte neben dem Abbau die Funktion, diesen Abort zu leeren und zu reinigen. Und weil im Ruhrgebiet die Sprache sehr direkt ist, wurden diese Menschen offiziell als Kübelmajor oder Scheißkübelmajor bezeichnet.
Wir biegen in einen niedrigeren Stollen ab. Alles ist irgendwie schräg. Schienen mit Steigungen und Gefälle wie eine kleine Achterbahn folgen dem Stollenverlauf. Wir erreichen das Abbaugebiet im Flöz Geitling II, wo niedrige Stempel das Nebengestein abstützen. Es ist etwas beklemmend. Vor allem, wenn der Gruppenleiter kurz das Licht ausschaltet, um sich vorzustellen, wie groß die Dunkelheit und wie klein wohl die Lichtquelle in der Leuchtkraft eines Glühwürmchens, frühe Formen der Grubenlampe, früher gewirkt haben muss.
Einmal mehr bekommt man den Respekt der schweren Arbeit der Kumpel unter Tage, die insbesondere im frühen Bergbau, wie er hier abgebildet ist, auch sehr gefährlich war. Wir sind schon ein bisschen froh, als wir wieder heile und mit vielen Erfahrungen reicher durch das Tor aus dem Stollen kommen dürfen und das warme Sonnenlicht genießen.
Informationen zum Besuch:
Öffnungszeiten und Eintrittspreise:
Das Museum ist ganzjährig Di-So und an bestimmten Feiertagen geöffnet von 10.00-18.00 Uhr (Letzter Einlass 17.30 Uhr), zwischen den Jahren ist es geschlossen. Die Führung durch den Nachtigallstollen erfolgt täglich alle zwei Stunden um 10.30, 12.30, 14.30 und 16.30 Uhr (am Wochenende von April bis Oktober ab 10.30 Uhr stündlich) und muss schon an der Kasse angemeldet werden – die Zahl der Besucher ist auf eine maximale Teilnehmerzahl beschränkt. Bei Voranmeldungen ist es jedoch möglich, auch größere Gruppen aufgeteilt und zeitversetzt in den Berg zu leiten. Die Führung dauert knapp eine Stunde.
Auf diesen Internetseiten sind die Eintrittspreise kategorisiert. Die Kosten für den reinen Eintritt für einen Erwachsenen für dieses Museum entsprechen der kleinsten Kategorie € (unter 5,- Euro pro Person). Genaue Preise, Rabatte und Ermäßigungen sind der offiziellen Internetseite oder Aushängen zu entnehmen. Die Stollenführung kostet einen Aufpreis und muss bereits beim Eintritt angemeldet werden.
Bei eventuellen Knie-, Rücken- oder Herzproblemen oder solchen mit Dunkelheit und Enge sollte auf eine Besichtigung unter Tage verzichtet werden. Vor dem Stollengang sollte man das WC aufsuchen.
Hunde können auf das Freigelände mitgenommen werden, nicht aber in die Gebäude und in den Stollen.
Anreise mit dem Auto:
Auf der A43 Bochum-Hagen bis zur Ausfahrt 20 Witten-Heven. Dort auf der See-Straße Richtung Witten. Die Straße geht in die Herbeder Straße über. Am Kreisverkehr auf die B226 Ruhrdeich Richtung Wetter. An der nächsten Ampel rechts in die Ruhrstraße. Über die Ruhr fahren und hinter der Kurve an der Ampel rechts in die Nachtigallstraße abbiegen. Ein erster Parkplatz befindet sich bereits kurz vor dem Feldbahnmuseum, falls der Parkplatz an der Zeche überfüllt sein sollte oder eine Wanderung ins Muttental angeschlossen werden soll. Ein kleiner Parkplatz befindet sich direkt vor dem Museum.
Zieleingabe in das Navigationssystem: Nachtigallstraße 35 in Witten
An den Fahrtagen der Feldbahn „Muttenthalbahn“ kann man den Fußweg vom Parkplatz Nachtigallstraße zum Museum bequem abkürzen. Die Feldbahn fährt dann stündlich und kann den ganzen Tag genutzt werden. Zu den Fahrtagen besuchen Sie bitte die Internetseite der Muttenthalbahn (siehe unten).
Anreise mit Bus und Bahn:
Die nächste Haltestelle mit dichterem Takt ist der etwa zwei Kilometer entfernt gelegene Hauptbahnhof von Witten. Vom Bahnhofsgebäude zu Fuß links bis zur Bahnunterführung Herbeder Straße. Dieser nach Westen folgen bis zum Kreisverkehr (vorbei an der Bushaltestelle Tor Thyssen und der Straßenbahnhaltestelle Hans-Böckler-Straße) und dann links. Im nächsten Kreisverkehr links und über die Fußgängerinsel; etwa 50 Meter hinter dem Kreisel führt rechts ein Fußgängerweg Richtung Ruhr. Diesem über die Nachtigallbrücke über die Ruhr folgen, an der Straße dahinter rechts. Am Bahnübergang befindet sich der Eingang zum Museum.
Anreise mit dem Fahrrad:
An der Zeche Nachtigall führt der RuhrtalRadweg Winterberg-Duisburg von der Quelle bis zur Mündung entlang der Ruhr direkt vorbei. Auf der gleichen Strecke verläuft hier der Radweg Von Ruhr zu Ruhr. Die kleine Einkehrmöglichkeit mit Suppen und Kuchen am Museum bietet sich somit für eine willkommene Rast an.
Kartenmaterial:
In den folgenden gedruckten Rad- und Wanderkarten und Tourenführern ist die Zeche Nachtigall bzw. die Region abgebildet: ADFC Regionalkarte radrevier.ruhr Ost* (1:50.000), Kompass Wanderkarte Südliches Ruhrgebiet* (1:50.000), Kompass Fahrrad-Tourenkarte RuhrtalRadweg* (1:50.000).
Diese thematisch passenden Bücher empfehle ich zur Vertiefung: Kompass Rad-Reiseführer RuhrtalRadweg*, Abenteuer im Ruhrgebiet: Lilly, Nikolas und das Bergmannstagebuch*, Grüne Oasen im Ruhrgebiet*
Anreise mit dem Museumszug:
An bestimmten Tagen pendelt im Sommerhalbjahr zwischen Bochum-Dahlhausen (Eisenbahnmuseum) und Hagen Hbf. die Linie Ruhrtal der RuhrtalBahn auf der für Personenverkehr bereits 1971 stillgelegten Bahnstrecke. Außerdem wird vom Eisenbahnmuseum ein Museumszug auf der gleichen Strecke zwischen Museum und Wengern-Ost angeboten. Entlang der Trasse der Ruhrtalbahn Richtung Hagen und Dahlhausen befinden sich zahlreiche weitere sehr lohnenswerte Ziele, die mit dem Museumszug oder auch mit dem Auto in einer Kette je nach Geschmack zu einem ganzen Erlebnistag kombiniert werden können, beispielsweise das Freilichtmuseum Henrichshütte in Hattingen, die Burg Blankenstein im gleichnamigen Vorort von Hattingen oder dem Eisenbahnmuseum Bochum.
Informationen zu den Fahrtagen und zum Fahrpreis erfragen Sie bitte auf der Ruhrtalbahn-Webseite und der des Eisenbahnmuseums.
Koordinaten für GPS-Geräte und zur Tourenplanung:
Geographische Koordinaten: 51°25’41.41″N, 7°18’39.91″E
Die Koordinaten können in das Eingabefeld von beispielsweise GoogleEarth und OpenStreetMap kopiert werden.
UTM-Koordinaten (Zone 32): 382722 m, 5698896 m
Nützliche Informationen zum Lesen der Koordinaten und Verwendung in GPS-Geräten bietet der Beitrag Anreise, GPS und Co.
Quellen und weitere Informationen:
Offizielle Internetseite: www.zeche-nachtigall.de
Muttenthalbahn (Feldbahn-Pendelverkehr): www.muttenthalbahn.org
Museumszüge Ruhrtalbahn: www.eisenbahnmuseum-bochum.de